top of page

Das radikale Experiment zur Bekämpfung der Wohnungsnot – Ein Denkanstoß

  • Autorenbild: nulleinsTM brand creation
    nulleinsTM brand creation
  • 26. Aug. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Aug. 2024


ree


Der Befund ist ebenso eindeutig wie unstreitig: Es fehlen sehr viele Wohnungen. Der Wohnungsmangel ist die soziale Frage der Gegenwart, viel gegenwärtiger und spürbarer als die Folgen des Klimawandels. Die Nettozuwanderung hat sich 2022 im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht; 1,5 Millionen Menschen sind 2022 nach Deutschland gekommen. Sie müssen hier wohnen können. Zugleich erwartet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, dass in diesem Jahr nur maximal 250.000 Wohnungen gebaut werden. Da die Baugenehmigungen rückläufig sind, dürften 2024 noch weniger Wohnungen errichtet werden. Der Zentrale Immobilien Ausschuss befürchtet, dass 2025 schon mehr als 700.000 Wohnungen fehlen werden.

Tatsache ist auch, dass herkömmliche Mechanismen in den vergangenen Jahren offenkundig keine Abhilfe geschaffen haben und aller Voraussicht nach auch nicht schaffen werden.


Hohe Zeit also, ganz grundsätzlich darüber nachzudenken, wie Angebot und Nachfrage von Wohnraum wieder in eine Balance gebracht werden können. Helfen könnte ein auf fünf Jahre befristetes radikales Experiment, das auf zwei fundamentalen Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung beruht: dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Sozialen Marktwirtschaft.


Artikel 2 Grundgesetz bestimmt sinngemäß, dass jeder Mensch in unserem Land frei ist, alles das zu tun und zu unterlassen, was ihm nicht gesetzlich ver- oder geboten ist. Gäbe es keine den Wohnungsbau regelnden Gesetze, wäre Jedermann frei zu bauen, wo, wann und wie er will. Auch im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es, dass der Eigentümer einer Sache damit nach Belieben verfahren kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Nun stehen dem aber Gesetze entgegen, und zwar nicht zu knapp.


Das Baugesetzbuch etwa, das Vorgaben darüber enthält, wo in Deutschland, welches Gebäude in welcher Nutzungsart gebaut werden darf. Suspendierte man dessen Geltung für die Dauer des Experiments, und würde ferner die Geltung der Bauordnungen der Bundesländer für die Dauer von fünf Jahren gänzlich aussetzen, könnte Jedermann auf seinem Grundstück, bauen wie er will, ohne irgendjemanden fragen zu müssen. Des Weiteren könnten die die allgemeine Handlungsfreiheit zur Errichtung von Wohnraum einschränkenden Gebote des Steuerrechts für die Dauer von fünf Jahren ausgesetzt werden. Erträge aus der Vermietung und Verpachtung von Wohnraum könnten schlicht steuerfrei gestellt und Anschaffung- und Herstellungsaufwand für die Errichtung von Wohnraum über die Dauer von fünf Jahren steuerlich als Abschreibung anerkannt werden. Die Grunderwerbssteuer könnte für den Kauf von Wohneigentum abgeschafft werden. Soweit das Haushaltsrecht Gebietskörperschaften der öffentlichen Hand als Eigentümer von Grundstücken darin einschränkt, deren Bebauung durch Dritte zu ermöglichen, könnten derartige Bestimmungen ebenfalls befristet ausgesetzt werden, damit Flächen für den Wohnungsbau verfügbar gemacht werden. Schließlich müsste konsequenterweise, um dem Experiment zum Erfolg zu verhelfen, das soziale Wohnungsmietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs temporär außer Kraft gesetzt werden.


Dem naheliegenden Einwand, dieses gewagte Experiment führe zu Chaos und Anarchie, würde nun mit dem zweiten grundlegenden Prinzip unseres Zusammenlebens begegnet werden können, dem der Sozialen Marktwirtschaft.


Projektentwickler und private Bauherrn würden nur bauen, wenn sie etwas davon verstünden. Sie und ihre Finanziers würden nur dann ihr Kapital in den Bau von Wohnungen investieren, wenn es sach- und fachgerecht eingesetzt und dauerhaft erhalten bliebe. Sie würden das auch nur dann tun, wenn die konkrete Aussicht dafür bestünde, dass sie Menschen finden, die sich bei freier Auswahl dafür entscheiden, in genau diesem Gebäude, in diesem Quartier, in diesem Teil der Stadt oder des Landes wohnen zu wollen, und dafür auch noch bereit wären, die Miete zu bezahlen, die das Investment rentierlich macht.


Mieter hätten wieder eine echte Auswahl. Sie könnten nach ihrer Façon Lage, Größe, Ausstattung etc. je nach Budget als Kriterien der Wohnungssuche bestimmen. Und den Menschen, die unverschuldet außerstande wären, durch ihre Erwerbstätigkeit die Miete aufzubringen, die für angemessenen Wohnraum gezahlt werden müsste, könnte und sollte durch zielgerichtete Unterstützung der Solidargemeinschaft im Wege konkreter Subjektförderung geholfen werden. Viele Mieter würden sicher auch nicht länger Mieter sein, sondern Eigentümer werden wollen. Sie könnten sich mit einer eigenen Immobilie einen Freiraum schaffen, den sie selbst gestalten und für den sie Verantwortung übernehmen könnten.


Auch das abstrakte Bedenken, das Experiment verursache unkalkulierbare finanzielle Risiken, ist wenig überzeugend. Denn die sozialen Folgekosten mangelnden Wohnraums dürften viel höher sein als die kalkulierbaren Einbußen der öffentlichen Hand für einen begrenzten Zeitraum.


Und schließlich dürfte einiges dafürsprechen, dass vernunftbegabte, gebildete Menschen dieses Landes während der Laufzeit des Experiments durchaus richtige und im besten Sinne nachhaltige Entscheidungen treffen würden. Das geschähe idealerweise in einer Kultur gegenseitigen Vertrauens, in der durch das Experiment entstehende Rechtsunsicherheiten vermöge von Urteilskraft, Großzügigkeit und Vergleichsbereitschaft im offenen Gespräch bereinigt würden.


Allen in politischer Verantwortung stünde eine Haltung gut zu Gesicht, die eine derart experimentelle Perspektive zulässt. Mehr Marktwirtschaft würde auch im Wohnungsbau eine Chance bieten, den Mangel wirksam zu beseitigen.


Quelle: The Pioneer (23.08.2023)




 
 
bottom of page